"Der Kopf ist rund, damit das Denken die Richtung wechseln kann.“
(Francis Picabia)
Es herrscht Ausnahmezustand. Corona. Ich muss mich bewegen, denn die Zimmerdecke droht auf mich zu stürzen. Spaziergänge im Freien sind untersagt. Somit bleibt mir nur der Rundgang in den eigenen vier Wänden. Wieder einmal. Ich finde, Runden zu gehen ist langweilig. Wie wäre es zur Abwechslung mit Geraden? Quasi eckig – eine Quadratur des Rundgangs.
Ich beginne an der Wand und mache drei Schritte und schon - hoppla - stoße ich an die Stehlampe. Richtig, die steht hier. Sie ist da, weil sie hübsch ist, sonst gibt es keine Existenzberechtigung für sie. Ich mache einen Ausfallschritt über sie hinweg und bewege mich weiter vorwärts. Doch dann endet mein Spaziergang schon wieder. Kurz vor der Ecke bleibe ich gezwungenermaßen stehen und sehe mir das stählerne Kaminrohr an, welches vom Untergeschoss in das Dachgeschoss führt. Es benützt dieses Zimmer als Durchgang. Ohne Halt zu machen. Nur um von unten nach oben zu kommen. Mir versperrt das Kaminrohr den Weg zur Wand. Das Rohr ist da, auch wenn ich es nicht brauche. Wäre es nicht da, hätte dieser Raum an dieser Stelle eine Sackgasse. Eine kleine feine und vor allem kurze Gasse, die am Weiß der Wand endet und flankiert ist, vom Rot der anderen Wand und gegenüberliegend von der Bücherregalseite.
Ich drehe mich nach links und passiere das Regal, dann das High-Tech-Center mit Fernseher und Musikanlage. Ich zähle zwei Geräte und drei Fernbedienungen. Ich gehe an
der Schlafzimmertür vorbei und entdecke darauffolgend eine Leere. Ein halber Meter des Nichts begleitet mich, bis ich an den Heizkörper stoße. Hinter dem Heizkörper, direkt in der Ecke, ist die
Katze. Hölzern, rank und schlank sitzt sie dort mit hocherhobenem Kopf. Ihr Ohr ist zur Hälfte abgeschlagen. Was davon übriggeblieben ist, habe ich mit schwarzer Farbe angepinselt, damit das
ramponierte Ohr nicht auffällt. Die Katze steht oder sitzt - das kann man sehen, wie man will – in der Ecke. Schon lange, aus Gewohnheit. Sie trug einmal eine Masche um den Hals, damals als ich sie
von einer Freundin geschenkt bekam. Lange ist es her, auch die Freundschaft. Ich habe die Freundin aus den Augen verloren, und denke nur mehr an sie, wenn die Katze umfällt.
Jetzt stehe ich direkt vor dem Fenster. Ich sehe hinaus. Vor mir ist die Stadt. Ungewohnt leise und leer. Wie am frühen Sonntagmorgen, wenn alle schlafen. Ich gehe
entlang der Fensterfront weiter. Zwänge mich zwischen Fenster und dem Benjamin hindurch. Grün und üppig steht er da. Er ist größer als ich. Der Benjamin ist mein Freund. Wiederholt hat er mir
verziehen, dass ich ihn verdorren ließ. Wir haben jetzt einen Deal, denn er ist für mein Geld zuständig. Diese Aufgabe habe ich ihm übertragen. Wie er das macht ist mir egal, Hauptsache mein Konto
quillt über und in meiner Hosentasche ist immer Kleingeld präsent. Dafür rede ich mit ihm, streichle seine Blätter und setze alles daran, dass es ihm gutgeht.
Mein Gang endet an der Couch. Aus dem Gehen wird ein Robben über die Sitzlehne. Für unsportliche Menschen ist so ein Sofa nichts. Zumindest nicht oben an der Lehne. Mir
offenbart sich unverhofft die Multifunktion der Couch: sitzen, liegen und turnen. Gekonnt schlage ich kletternd die Kurve bis ich wieder an einer Stehlampe ende. Die ist diesmal nützlich, sie ist ein
echtes Unikat mit schwedischem Vornamen. Ihre besten Zeiten hat die Lampe hinter sich, dafür ist sie praktisch und passt haargenau in den kleinen Zwischenraum zwischen Couch und Tür. Eine Tür, wo es
hinaus geht. Ein Hinaus, für welches es seit Kurzem Vorschriften gibt. Neuerdings recke ich, selten aber doch, meine Nase nach draußen, um nach frischer Luft zu schnappen. Meine Schritte führen mich
nur fort, wenn der Kühlschrank leer ist. Ich weiß nicht, ob ich den Kühlschrank dafür hassen oder lieben soll. Die Wohnungstür bleibt jetzt jedenfalls geschlossen, während ich an ihr vorbeigehe.
Schon wieder befinde ich mich in einer Ecke. Direkt vor einer Steckdose. Sie funktioniert, wie alle anderen Steckdosen in meiner Wohnung. Gottlob, denke ich und überlege, ob ich ihr diesen Namen
geben soll.
Eine Wendung um neunzig Grad, führt mich an der rot tapezierten Wand entlang, an der sich nichts befindet, außer eine Schiebetür. Es ist ein Möbel, das an der Wand
hängt. Die Türblätter laufen, sofern man sie anstupst, sichtbar an der Wand entlang. Das ist schön und praktisch. Praktisch ist sie immer offen, denn der Gang in die Küche ist stark frequentiert.
Nach wenigen Schritten befinde ich mich an der Stelle, an der ich meinen Rundgang durch die Wohnung begonnen habe. Resümierend schreibe ich in mein Tagebuch: Das Seelenleben der Dinge liegt
nicht im Verborgenen. Es offenbart sich mir, wenn ich den gewohnten Pfad verlasse.
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